DIE GEGENWÄRTIGE POLITISCHE (WELT)LAGE UND DER BEVORSTEHENDE HIROSHIMA-TAG

Am 6. August 1945 fand der erste atomare Massenmord statt. Die USA warfen eine höhnisch als „Little Boy“ benannte Atombombe auf Hiroshima ab. Nur drei Tage später folgte der Abwurf der Plutoniumbombe „Fat Man“ über Nagasaki. Etwa 100.000 Menschen starben sofort, weitere 130.000 bis zum Jahresende. Von vielen Opfern konnten keinerlei Spuren mehr gefunden werden. Und noch Jahre danach starben Hunderttausende an Verletzungen, die sie durch die atomare Verstrahlung erlitten hatten. Noch immer werden Langzeitfolgen wie beispielsweise Krebserkrankungen dokumentiert. Die Bombardierung der Städte Hiroshima und Nagasaki in Schutt und Asche sowie deren Verstrahlung durch den bisher einzigen Einsatz von nuklearen Waffen, steht in der Spitzenreihe der historisch beispiellosen Kriegsverbrechen. 

Atomarer Massenmord für die US-Nachkriegsordnung

Hiroshima, eine vorrangig zivile Stadt, wurde wegen ihrer Lage ausgewählt, wie mittlerweile in freigegebenen Dokumenten in blanker Menschenverachtung nachzulesen ist. Es würde „Vorteile“ bringen, die Stadt sei groß und wäre von den umliegenden Berge so eingekesselt, dass die Zerstörung eines großen Teils zu erwarten sei. Und um das maximale Vernichtungspotenzial gänzlich auszuschöpfen, wurden darüber hinaus auch die Wetterberichte bei der Terminisierung der Abwürfe miteinbezogen. Besonders perfide ist, dass die Städte Hiroshima und Nagasaki nicht einmal auf der Liste der 33 wichtigsten Angriffsziele in Japan angeführt waren. Ihre nukleare Auslöschung folgte zudem auch keinerlei irgendwie gearteten militärischen Erwägungen in Bezug auf Japan, wie der seinerzeit höchste US-Militär, der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, Admiral Willam D. Leahy, noch im selben Jahr bestätigte: „Die Japaner waren bereits geschlagen und zur Kapitulation bereit.“ 

Heute sind sich die meisten sachkundigen ForscherInnen und HistorikerInnen einig darüber, dass dieses nukleare Inferno vielmehr als Drohung und schwebendes Damoklesschwert gegenüber der Sowjetunion einzuordnen ist. Patrick M. S. Blackett, Nobelpreisträger für Physik 1948 und Atomwaffenkritiker, kam nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zum Schluss, „dass der Abwurf der Atombomben nicht so sehr der letzte Akt des zweiten Weltkriegs war, als vielmehr eine der ersten größeren Operationen im Kalten Krieg mit Russland.“ Im Klartext bedeutet dies, dass mehr als 400.000 japanische Zivilisten zugunsten der Globalstrategie des US-Imperialismus für die Nachkriegsordnung geopfert wurden.

Über die Schwelle der apokalyptischen Gemeingefährlichkeit: forcierte westliche Blockkonfrontation im Atomzeitalter

Obwohl der Einsatz von Kernwaffen seit Hiroshima international geächtet ist, und seit der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs vom 8. Juni 1996 als absolut unvereinbar mit dem Völkerrecht gilt, beharrt die NATO bis heute auf der strategischen Verankerung ihrer sogenannten „Vorwärtsverteidigung“ und auf „präventive“ Atomwaffen-Erstschläge. Dies alles vor dem Hintergrund, dass das aktuelle, wesentlich „modernere“ Atomwaffenarsenal nochmals um ein Vielfachtes an Zerstörungswucht dazugewonnen hat.

Mehr noch: Die neue, „unfassbare Nonchalance“ (Brigadegeneral a.D. Helmut Ganser), mit der im Kontext des von Washington ausgerufenen neuen Weltordnungskonflikts und des Ukrainekriegs aktuell in den Hauptquartieren der NATO und zahlreichen Hauptstädten des Metropolenkapitalismus wieder über die Führbarkeit eines Atomkriegs diskutiert sowie das Gewinnen und Überleben eines Atomkriegs erwogen wird, verschlägt selbst den hartgesottensten, ehemals höchsten militärischen Führungsrigen die Sprache.

Das neue atomare Wettrüsten und die Renaissance der Idee eines führbaren Atomkriegs 

„Wir leben in einer der gefährlichsten Zeiten in der Geschichte der Menschheit“, warnte kürzlich auch das renommierte Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI. „Wir haben seit dem Kalten Krieg nicht mehr erlebt, dass Atomwaffen eine so herausragende Rolle in den internationalen Beziehungen spielen.“ 

Entsprechend explodierten in den vergangenen fünf Jahren auch die Ausgaben für das neue nuklearen Wettrüsten um mehr als ein Drittel (von 68 Milliarden auf 91 Milliarden Dollar), wovon mit knapp 52 Milliarden auf die USA mehr als auf alle anderen Atommächte zusammen entfallen. Dem nicht genug, zeigte sich die NATO auf ihrem 75-Jahre-Jubiläumsgipfel felsenfest entschlossen, die Hochrüstungsspirale weiter anzukurbeln.

Die NATO kündigte darüber hinaus einen Ausbau des einsatzbereiten Atomwaffenarsenals für das westliche Militärbündnis an: Mehr Atomraketen und Sprengköpfe aus den Silos werden auf „scharf“ gestellt. Mit der erneuten Hochrüstung bei den Kernwaffen, mit diesen neuen Generationen der Atombomben wird der Weg für einen Atomkrieg gebahnt. Unterminierungsvorhaben, die man in die Mottenkiste der Nuklearkriegs-Zocker wähnte, gefährden die ohnehin fragile Balance des atomaren „Gleichgewichts des Schreckens“ im Sinne des „Wer als Erster schießt, stirbt als Zweiter“. 

Mit der Renaissance der Idee, gezielte „Enthauptungsschläge“ gegen die politischen und militärischen Führungsstrukturen des Kontrahenten setzen zu können, oder mit der Überzeugung, dass die eigene Abwehr so dicht und präzise organisiert sei, dass man die Atomraketen des Gegners entweder generell oder zumindest weitgehend abfangen könne, um eine Gegenwehr des Kontrahenten (weitgehend) auszuschalten, oder sogar direkt die Nuklearabwehr des Gegners anzugreifen, kann sich nämlich die nämliche Seite in der Lage zu einem Atomkrieg wähnen.

Entgegen dem medial vermittelten Narrativ hat dieser erneute Wahnsinn indes nichts mit dem Ukraine-Krieg zu tun, wie schon ein bloßer Blick auf die bereits vor langem auf den Weg gebrachte US-Strategie einer „Revolution in Military Affairs“ schlagartig verdeutlicht, mit der das MAD-Prinzip („mutually assured destruction“), sprich: Diktum des atomaren Patts des Kalten Kriegs außer Kraft gesetzt werden soll. Entsprechend sieht auch bereits die US-Nukleardoktrin von 2018 die Option „(regional) begrenzter Nuklearkriege“ seitens der Führungsmacht des Westens vor. Ein militärischer Wahnsinn in den sich zugleich die einseitigen Aufkündigungen der ABM- und INF-Verträge durch Washington und der Austritt der USA aus dem „Open Skies-“Abkommen einfügen und ihren Platz finden.

„Sky Shield“: Die Schaffung der Option für einen atomaren Erstschlag 

Das euphemistisch als „Abwehrsystem“ bezeichnete „Sky Shield“-Projekt, dem Österreich am 28. Mai 2024 offiziell beigetreten ist, stellt, im Gegensatz zur öffentlichen Darstellung, vielmehr einen fundamentalen Baustein eines militärisch-konfrontativen nuklearen Paradigmenwechsels dar. Denn das „Raketensystem“ der europäischen NATO- und Vasallenländer, soll unter dem militärischen Befehl des NATO-Oberkommandeurs, des Supreme Allied Commander Europe (SACEUR), auch einen „heißen“ Krieg mit Russland „führbar machen“. Mit gezielten „Enthauptungsschlägen“ und dicht gestaffelter Ausschaltung der „Zweitschlagskapazität“. Der 1972 abgeschlossene ABM-Vertrag (bereits 2001 von George W. Bush einseitig aufgekündigt), sollte „verhindern, dass sich eine Seite durch den Aufbau eines flächendeckenden Raketenabwehrsystems nahezu unverwundbar gemacht hätte – mit fatalen Folgen für das Prinzip der gesicherten gegenseitigen atomaren Abschreckung“. Jochen Scholz, ehemals u.a. im NATO-Hauptquartier Alliierte Luftstreitkräfte tätig, und damit ein Ex-Militär von Rang, brachte es kürzlich Punkt: „Im Klartext bedeutet dies die Schaffung einer Option für den atomaren Erstschlag“ der NATO und des Westens.

Wahnsinn mit Kalkül 

Auf einem anderen Frontabschnitt des neuen Weltordnungskriegs wurde die Schwelle zur apokalyptischen Gemeingefährlichkeit ebenfalls bereits überschritten. Vom politischen Personal und der Journaille des Westens als „spektakulärer Schlag“ Kiews (und der USA) gegen „Moskau“ und „Putin“ gefeiert, stockte Militärexperten hingegen der Atem. In einem Wahnsinnsakt wurden die russischen Radarsysteme zur Frühwarnung vor US-amerikanischen Atomschlägen auf das Land mehrmals bombardiert. Diese Angriffe „könnten die Bedingungen erfüllen, die Russland im Jahr 2020 öffentlich für gegnerische Angriffe festgelegt hat, die einen nuklearen Vergeltungsschlag auslösen könnten“, erläuterte der häufig medial zu Wort gebetene, bekannte österreichische Militärstratege und Militärhistoriker Markus Reisner. Die Lage sei damit „neuerlich eskaliert“ worden und „überaus ernst“. 

Angesichts dieses Wahnsinns mit Vorsatz meldete sich der ehemalige Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Harald Kujat, noch eindringlicher zu Wort: „Ich befürchte“, so der Ex-NATO-Militär zum Vabanque-Spiel des Westens, „der Ukraine-Krieg könnte zur Urkatastrophe des 21. Jahrhunderts werden“, und sei es „bloß“ aus Versehen durch Missverständnisse und Fehlinterpretationen oder auch forcierte Provokationen bzw. ein halsbrecherisches militärisches Austesten.

Ja, mit dem NATO-Jubiläumsgipfel kehren nunmehr in Form der Raketenstationierung von „Tomahawk“-Marschflugkörpern und Hyperschallraketen des Typs „Dark Eagle“ sogar die nach langem Kampf der Friedensbewegung und Millionenmassen 1991 aus Deutschland endlich abgezogenen Mittelstreckenraken und Marschflugkörper „Uncle Sams“ zurück. Allerdings geht auch diese mitnichten auf den jetzt gedeichselten Kontext des Ukraine-Kriegs zurück, sondern war dem Wissenschaftlichen Dienst des US-Kongresses zufolge schon 2021 (sowie vor Zuspitzung des Ukraine-Konflikts zu Ende des Jahres) beschlossene Sache. Ergänzt um das Atomwaffenarsenal Großbritanniens und Frankreichs, sowie den US-amerikanischen B61 Atombomben der „nuklearen Teilhabe“ auf deutschem, italienischem, holländischem oder auch belgischem Boden, als Patriot und Arrow 3, und die ballistischen Raketen in Polen und Rumänien sind die Ingredienzien für ein atomares Inferno resp. „Hiroshima 2.0“ damit weitgehend angerichtet und die zeitweiligen Erfolge der Friedensbewegung auf breiter Front annihiliert.

Vor dem Hintergrund dieser neuen Atomkriegsgefahr gewinnen das diesjährige Gedenken an das nukleare Kriegsverbrechen in Hiroshima und Nagasaki sowie die Verteidigung der Neutralität Österreichs nochmals an besonderer Brisanz. 

Erstmals veröffentlicht auf: www.stimmenfuerneutralitaet.at

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