Einige Gedanken über Ernst Wimmer – Anlässlich seines 100. Geburtstags am 17. Juni 2024

Heute hätte Ernst Wimmer, zweifellos einer der bedeutendsten theoretischen marxistisch-kommunistischen Köpfe Österreichs, seinen 100. Geburtstag. Gleichwohl wurde ihm im ideologischen Tsunami der letzten Jahrzehnte nicht nur im herrschenden Geistesleben, sondern weitgehend auch in jenem der Arbeiterbewegung im Land das Bürgerrecht entzogen. Es wäre vermessen, hier auch nur einen Umriss seines vielfältigen Schaffens geben zu wollen. Zumal er neben seinem Freund Walter Hollitscher, einer zweiten Geistesgröße des heimischen Marxismus, als einer der letzten Enzyklopäden gelten darf. Ein vielleicht als Art komprimiertes Vermächtnis charakterisierbar, stellt in Facetten eventuell sein im Oktober 1990, auf den Tag genau ein Jahr vor seinem Tod, in Zürich gehaltener Vortrag „Marxistische Perspektiven“ dar. Allerdings, um die analytische Schärfe seines Denkens, seine ausnehmende dialektische Denkhaltung und die Perspektiven auf sein ebenso produktives wie umfangreiches theoretisches Schaffen, politisches Wirken und die Weite seiner Denkeinstellung erneut fruchtbar zu machen und zur Geltung zu bringen, müsste im Grunde sein Gesamtwerk von Neuem erschlossen werden. Der zugleich tiefe ästhetische Genuss seiner unnachahmlichen Feder wäre dazu eigentlich auch in dieser Hinsicht angetan. Nichts desto trotz ist damit freilich eine Herkulesaufgabe längeren Atems aufgeworfen. Umso mehr freut es uns, dass seine beiden Söhne Andreas und Philip, Freunde und Genossen, persönlich einen Beitrag zum 100. unseres unvergessenen Jubilars verfasst haben und ergänzen wir diesen noch um Michael Scharangs so bezeichnenden, seinerzeitigen Nachruf auf Ernst Wimmer und dessen allerletzten Artikel, mit einem weiterführenden Kommentar durch seinen Sohn Andreas.

Ernst Wimmer war in jeder Hinsicht ein Menschenfreund. Seine Herzlichkeit, seine Gastfreundschaft, sein Humor, seine Neugier, seine Wissbegierde und seine Lernfähigkeit waren Ausdruck seines Wesens. Ebenso wie Nachdenklichkeit, Entschlossenheit und Leidenschaft. Nichts an ihm war aufgesetzt. Er war, wie man heute sagt, eine durch und durch authentische Persönlichkeit. All das, und noch mehr, behielt er sich bis in seine letzten Tage, bis in sein Sterben hinein. 

Ernst Wimmer wurde am 17. Juni 1924 in der ländlichen Kleinstadt Horn im Waldviertel geboren. Sein Vater, Otto, seine Mutter Hermine und sein soziales Umfeld waren in ihrem Selbstverständnis patriotisch gesinnte Österreicher und christlich-katholisch geprägt. Sein Vater sowie auch sein Großvater waren beruflich in der Armee, resp. im Staatsapparat tätig. Der Vater seiner Mutter – Alois Phillipp – war eines von acht Kindern. Er war Eisenbahner und Mitbegründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP).

Die Annexion Österreichs, den Hitlerfaschismus und den Nationalsozialismus haben die Familie und der junge Ernst als das begriffen, was er war: als Angriff des Deutschen Imperialismus mit seinem menschenverachtenden Rassismus als Vorbote des großen Krieges. 

Sein Vater Otto Wimmer, damals Bankangestellter mit Prokura, wurde bereits am 16. März 1938, drei Tage nach der Machtergreifung der Nazis in Österreich von der GESTAPO verhaftet. Ernst bildete gemeinsam mit anderen Schülern im Jahr 1940 als 16-Jähriger, im „Ignaz-Seipel-Gymnasium“ eine antifaschistische Widerstandsgruppe namens „Theiss“. Er wurde von der GESTAPO verhaftet und in die sogenannte „Gestapoleitstelle“ am Morzinplatz verbracht. Auch seine um zwei Jahre ältere Schwester Edith wurde verhaftet. Sie war im Gegensatz zu ihrem Bruder Ernst zuerst am Morzinplatz und danach für 16 Monate im Landesgericht inhaftiert.

1945, nach dem Sieg über das „Tausendjähriges Reich“, über die nationalsozialistische Barbarei, kam Ernst Wimmer mit vielen rückkehrenden Emigranten, im Besonderen mit dem marxistischen Philosophen Walter Hollitscher, in Kontakt. Er wurde überzeugter Marxist und in weiterer Folge Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs. So wurde aus einem jungen Menschen, der seine Sinne und seinen Verstand verwendete und sich stets von seinem Trachten nach Gerechtigkeit und Wahrheit in Konsequenz leiten ließ, ein reifer Mensch, der auch nach dem Krieg mit dem System, das das Profitstreben vor den Menschen stellt, keinen faulen „Kompromissfrieden“ eingegangen ist.

Ernst Wimmer begann in der Redaktion des Zentralorgans der Kommunistischen Partei, der Volksstimme, als Redakteur und wechselte Anfang der 1970er-Jahre als Berufsfunktionär ins ZK – Zentralkomitee der KPÖ. Ab 1968 an begann er sich als marxistischer Theoretiker zu entwickeln und entfaltete in hohem Maß die Attraktivität des Marxismus merklich nachhaltig für Intellektuelle und gleichermaßen für Künstler.

Unbeirrbar war sein Denken wie auch sein Handeln für die Interessen der werktätigen Masse, der Arbeiterklasse, und auf ganz persönlicher Ebene, seine tiefe Zuneigung zu den sogenannten „einfachen Menschen“ orientiert.

Ernst Wimmer hatte eine intensive Liebe zur Natur. Seine Begeisterung für das Bergsteigen, für das Sportfischen, das Suchen nach Pilzen war charakteristisch für ihn. Seine leidenschaftliche Hingabe zur Kultur und Kunst begleitet ihn von frühester Jungend an bis zu seinen letzten Tagen. Er las begierig ebenso kleine und auch größere Buchgebirge. Er las uns auch gern vor. Wir besuchten Museen, Ausstellungen, Kirchen, Friedhöfe und unzählige andere Kulturstätten. Er war ein belesener, gebildeter und guter Unterhalter.

Zu den ihn kennzeichnenden Besonderheiten gehörte, dass er unzählige Menschen mit von ihm gefangen Forellen beschenkte, ohne jemals an eine „Gegenleistung“ zu denken. Es machte ihm Freude anderen Menschen Freude zu bereiten, sie zu beschenken.

Das Kochen war eine seiner Leidenschaften, das Chaos in der Küche hinterließ er für unsere Mutter. Das Essen und das Trinken konnte er in vollen Zügen genießen, am liebsten in gleichgesinnter Gesellschaft.

Frischgefangene Forellen wurden von uns unter dem Sternenhimmel auf Schotterbänken, gleich neben den Bächen, als Steckerlfisch auf trockenem Treibholz mit gebratenen Erdäpfeln und geschmorten Äpfeln verzehrt. Solches gehörte zu seinem persönlichen Freiheitsverständnis. 

Auch war Ernst Wimmer ein weitgereister sowie ein gern gesehener Gast und Freund – vorwiegend in vielen Ländern Europas.

Die Konterrevolution in der Sowjetunion, die als historische Zäsur verstanden werden soll, hat weitgehend zur Liquidation der organisierten Verfasstheit der Arbeiterklasse geführt. Prinzipienfeste Menschen, die versuchten, dieser Entwicklung zu begegnen, wurden als Dogmatiker punziert. Persönlich erlebte Ernst Wimmer diesen Verrat auf außerordentlich schmerzhafte Weise. 

Die Hasardeure und politischen Bankrotteure, deren Namen ob ihres politisch durchschlagenden Erfolgs am Verblassen sind, deren Namen man in der geschichtlichen Betrachtung höchstens mit Dummheit, mit Feigheit, mit Verrat und selbstgefälliger Eitelkeit in Verbindung bringen wird, haben erreicht, dass von einer Kommunistischen Partei ein Akronym geblieben ist, das mit dessen historisch-assoziiertem Inhalt rein gar nichts zu hat. Was immer geblieben ist, was heute auch immer unter KPÖ firmiert hat nichts, rein gar nichts mit einer selbstständigen, marxistischen, revolutionären Partei der Arbeiterklasse zu tun.

Diese Tatsache macht eine Rehabilitierung Ernst Wimmers als Berufsrevolutionär und marxistischen Theoretiker, als einen der führenden Funktionäre in der Geschichte der Kommunistischen Partei Österreich durch dieses nichts bedeutungslos. 

Ernst Wimmer starb in den Abendstunden des 27. Oktober 1991 und wurde am 7. November 1991 im Beisein vieler hunderter Trauergäste beigesetzt. Unser Vater war unserer Mutter Eva ein Weg- und Kampfgefährte, wie auch umgekehrt. Sie war seine Lebensliebe und Ausdruck derselben. Uns war er ein behütender und liebender Vater, der uns Haltung, Weltanschauung und Kultur, wie auch den gewitzten Humor, der für ein langes Leben reicht, für unsere Wege mitgegeben hat.

In Dankbarkeit denken wir seine Söhne, sein Enkelsohn, die Familie an ihn und unsere Mutter Eva. Wir gedenken gemeinsam mit vielen Menschen seiner, anlässlich seines 100. Geburtstags.

Andreas Wimmer & Philip Wimmer

Ähnliche Beiträge

Gefällt dir dieser Beitrag?

Via Facebook teilen
Via Twitter teilen
Via E-Mail teilen
Via Pinterest teilen