Wozu, in wessen Interesse Neutralität?

Ein Artikel von Ernst Wimmer in „Weg und Ziel“, dem theoretischen Organ der KPÖ, vom Mai 1991 (Wiederveröffentlichung zum 100. Geburtstag von Ernst Wimmer [17. Juni 1924 bis 27. Oktober 1991])

Hat Neutralität noch einen Sinn? Muss sie nicht „völlig neu interpretiert werden“, um einen Sinn zu bekommen oder ihn behalten zu können? Wird nicht eine „Auslegung“ angestrebt, die Aushöhlung bedeutet, die nur eine Hülse übriglässt, mit der sich vortäuschen lässt, dass nichts verloren geht? In welchen Beziehungen stehen Neutralität und Souveränität zueinander, sofern diese in der Welt von heute noch möglich ist? In welchen Wechselwirkungen Neutralität und nationale Identität?

Diese und ähnliche Fragen werden noch durch Jahre für die künftige Entwicklung unseres Landes von größter Bedeutung sein. Aber sie werden leider noch von zu wenigen, ihrer Bedeutung entsprechend gestellt, obgleich in Bälde Vorentscheidungen fallen werden. Leider, weil Fragen, unzulänglich, mit zu wenig Nachdruck gestellt, nachher oft „Antworten“ zur Folge haben, die zu den berechtigten Fragen gar nicht passen. [Anm.: dies alles geschrieben und als Fragen aufgeworfen vor einem Dritteljahrhundert, ja noch vor dem EG/(EU)-Beitritt Österreichs.]

Jede nicht längerfristig vorausgesehene Wendung, jede neue Entwicklung produziert heutzutage in kürzester Frist eine neue Phraseologie. „Unipolare Welt“, „Ende des Ost-West-Konflikts“, „Anbruch einer neuen Weltordnung“ – sind nur einige der jetzt gängigsten Stichworte. Jede neue Phraseologie oder Terminologie entspringt sehr verschiedenen Bedürfnissen. Teils bietet sie sich an, eine noch unvertraute neue Welt in einzelnen Zügen nahezubringen, teils trachtet sie danach, mit einzelnen neuen Zügen für das Ganze Wesentliches zu verdecken. Selten hat man es mit mehr als Halb-, Viertelwahrheiten oder noch weniger zu tun. Und je nach den Bedürfnissen wollen sie von anderen Teilen der Wahrheit, die vielleicht annähernd ein Ganzes ergeben könnten, gar nichts wissen, ihnen womöglich nie begegnen. Geht es – so wie in diesem Fall – um äußerst wichtige Fragen der Zukunft unseres Landes, unseres Volks, unserer Nation, müsste wohl das Nächstliegende und am verlässlichsten Weiterführende ein Vergleich dieser Phrasen mit verschiedenen Zügen der Wirklichkeit sein. Ist der Ost-West-Konflikt wirklich zu Ende? Jene, denen Neutralität eigentlich nie behagt hat, versichern es. Denn das einfachste Verfahren, Neutralität zu überfahren, ist, ihren ausschließlichen Entstehungsgrund in der Ost-West-Konfrontation von einst zu fixieren und jetzt haarscharf zu schließen, weil diese nicht mehr existiere, sei Neutralität gegenstandslos geworden. Aber ist der „Systemgegensatz“ mit dem Zusammenbruch des „realen Sozialismus“ in Osteuropa wirklich völlig verschwunden? Haben China, Vietnam, Nordkorea, Kuba – ein nicht unbeträchtlicher Teil der Menschheit – aufgehört zu existieren?

Wer wagt heute vorauszusagen und später auch dafür einzustehen, was aus der Sowjetunion wird? Gesetzt den Fall, dass eine endgültige Entscheidung gegen jede „sozialistische Wahl“ fällt: Werden die dann Regierenden auf all das verzichten, was durch Jahrhunderte vor der Oktoberrevolution im Namen irgendeiner Staatsräson, einer „slawischen“ oder „russischen Mission“, verlangt und oft recht kriegerisch verfochten wurde? Wer glaubt, falls doch irgend etwas von der „sozialistischen Wahl“, vom Interesse an möglichst allgemeiner Abrüstung, an möglichst kollektiver Sicherheit bleiben sollte, dass ein Heranrücken von NATO-Grenzen an die der Sowjetunion als „Garantie“ gegen Spannungen, gegen Konflikte gefeiert werden sollte?

Wer vermag sich eine Einbindung der Sowjetunion oder dessen, was vielleicht übrigbleibt, in ein westlich dominiertes Bündnissystem vorzustellen, wo doch unweigerlich damit ihre weitere internationale Abwertung, ja noch schlimmer, Möglichkeiten eines direkten Eingreifens in die inneren Auseinandersetzungen dieses vielgliedrigen Staats verbunden wären? Ein [Eduard] Schewardnadse, der von sich so eingenommen war, sich einzubilden, die Interessen der Gegenseite einfühlsamer, verständnisvoller und moralischer als sie selbst vertreten zu können, findet sich nicht alle Tage.

Und welche Bewandtnis hat es mit der „unipolaren Welt“, die angeblich bestimmend an die Stelle der zerfallenen „Nachkriegsordnung“ tritt? Die Oberflächlichkeit selber könnte sich kaum passender vorstellen als mit einer solchen Darstellung der Welt, weil für sie nichts als die Oberfläche spricht: Schon seit geraumer Zeit sind – im Bewusstsein des Abstiegs der Sowjetunion als „Supermacht“ – die USA im Begriff, sich umzustellen und umzurüsten, um sich als einzige verbliebene Supermacht zu etablieren; durch die Orientierung auf „Ordnungsaufgaben in der Welt“, auf qualitativ neue „Eingreiftruppen“, auf Waffenlager

rund um die Welt, auf „Polizeidienste“ anderer, vor allem aber auf finanzielle Beitragsleistungen – als Anerkennung ihrer Unentbehrlichkeit. Nicht mehr zielt der Hauptstoß gegen Befreiungsbewegungen, sondern fortan gegen ungebärdige, lästige, unberechenbare Staaten, die stören könnten, was die USA unter Ordnung der Welt in ihrem Interesse verstehen.

Der Golfkrieg war die erste große Probe aufs Exempel, und für die wirklich herrschenden Kreise der USA die Bestätigung dafür, dass dergleichen sich bezahlt machen kann. Allerdings ein solches Führungskonzept passt so gar nicht in das simple Bild einer „unipolaren Welt“, dass es in der Welt, wie sie wirklich ist, unweigerlich Reaktionen auslösen, Gegenstrategien provozieren muss. Die auffallende politische Absenz der EG im Golfkrieg, die sie finanziell gegenüber den USA entgelten musste, hat auch Politiker in Westeuropa zu neuem Nachdenken veranlasst. Wenn die USA den Verlust an ökonomischem Gewicht auf längere Sicht mit militärischem Übergewicht wettmachen können, ist im Wettstreit um eine Neuordnung in der Welt unvermeidlich, dass schließlich jemand das Problem so präzis und zugleich mehrschneidig formuliert, wie EG-Präsident [Jacques] Delors: „Wenn sich Europa in den kommenden Jahren nicht die Mittel seiner Macht gibt, wird es einen hohen Preis dafür bezahlen“.

Das erklärt die Plötzlichkeit und Dringlichkeit, mit der man in Westeuropa jetzt über die „sicherheitspolitische Strukturen“, genauer gesagt über Formen der Organisierung einer eigenen militärischen Macht nachdenkt. Diese Strukturen existieren vorerst nur in verschwommenen Konturen. Sehr verschieden sind Vorstellungen über Gewichtung zum Teil widersprüchlicher Momente als „Stütze der NATO“, aber auch Gegengewicht zu den USA. Wenn ökonomische Stärke allein nicht genügt, wenn auch militärische Kraft disponibel sein muss, um jene besser wirken zu lassen, sind natürlich verschiedenste Varianten möglich. Aber die Marschrichtung ist eindeutig.

Delors hat in ganz anderem Zusammenhang, von „Ringen“ einer abgestuften Integration in Europa gesprochen. Wer hält ernstlich eine Einbindung ganz Europas – die Sowjetunion ausgenommen – in eine solche Machtstruktur in absehbarer Zeit für wahrscheinlich, für realisierbar? Der phänomenale Eifer der neuen Regierenden Ungarns, ihre Bereitschaft zu Opfern – natürlich auf Kosten des Volks – sogar am fernen Golf zu beweisen, um endlich den „Weg nach Europa“ zu öffnen – zu dem bekanntlich Ungarn, wie Österreicher sehr gut wissen, bisher noch nie gehört hat -, konnte an Wunder glauben lassen.

Die mächtigsten, auf ihre Berechnungskünste stolzen Kapitalisten Westeuropas gehören – zumindest in dieser Hinsicht – nicht dazu. Deshalb ist sicher: So vage die Konturen der neuen EG-Macht sind, es wird bis auf weiteres bei „Ringen“ bleiben. Und da ist gewiss: Im Fall einer EG-Mitgliedschaft Österreichs würde sich sofort, unter neuen Bedingungen die alte Problematik wieder stellen, die einst eines der größten Hindernisse für den Abschluss des Staatsvertrags war: die „Unentbehrlichkeit“ einer Landverbindung über Österreich zwischen dem Norden und dem Süden eines Militärbündnisses in Europa. Schwärmer und Phantasten seien gebeten zu bedenken, sofern sie dies nicht völlig überfordert, was eigentlich von dem „gemeinsamen Haus Europa“ schon steht. Wer wird da und gegen wen Eigentümer- und Hauptmieterrechte geltend machen? Und dieses Europa beherbergt – noch keineswegs eine Einheit – nach wie vor die größte Konzentration von Truppen, von Waffen, von Rüstungen, von Rüstungsindustrien; produziert Dutzende neue Konflikte, die man für historisch erledigt oder gar nicht mehr für möglich hielt.

Nicht zu vergessen ist: Mit der Vereinigung Deutschlands ist eine Hegemonialmacht entstanden deren Ambitionen und Expansionen, welcher Art auch immer, nur schwer einzudämmen sein werden. Eine „unipolare Welt“? Bei allem Schein, der dafürspricht, kann sie nur Ausgeburt von Einfalt sein. Der weitgehende Ausfall der Sowjetunion als „Supermacht“ kann ja nur Auftakt zu neuen Anstrengungen um eine Neuverteilung in der Welt sein. Obgleich Neutralität und Blockfreiheit nicht gleichzusetzen sind, wird hier in Diskussionen über Neutralität immer wieder auf die eklatante Schwäche der Bewegung der Blockfreien in den letzten Jahren verwiesen. Ins Treffen geführt wird: Auch Blockfreiheit sei, „im kalten Krieg“ aus der „Bipolarität“ der „Ost-West-Konfrontation“ entstanden und habe deshalb ihre Bedeutung verloren.

Hier ist nicht der Platz zu untersuchen, welche Rolle dabei innere Entwicklungen in einst für die Bewegung der Blockfreien wichtigen Staaten gespielt haben: in Indonesien, in Ägypten, in Jugoslawien, in Indien. Aber wenn für die Welt, so wie sich jetzt darstellt, aus den in ihr wirkenden Spannungen und Interessenkonflikten keineswegs „Gleichberechtigung“, gleiche Sicherheit für alle abzuleiten ist, dann folgt wohl daraus: Blockfreiheit wird ihren Sinn behalten, solange Hegemonien angestrebt werden. Ob es sich nun um ein, um zwei „Supermächte“, um eine „Triade“ (mit Japan als drittem) oder noch weitere Mächte handelt, welche die Welt, soweit ihnen möglich scheint, nach ihren „Kraftfeldern“ ausrichten wollen.

Das Übel von „Hegemonie“ dieser Art ändert sich nicht mit der Zahl der Hegemonialmächte, auch wenn ganz wesentlich ist: mit welchen Mächten hat man es zu tun? Unter diesen neuen Bedingungen erhält Neutralität zwar nicht einen völlig neuen Sinn, wohl aber eine neue Qualität.

Eben nicht gebundene Partei zu sein, sich gegen Abhängigkeitsverhältnisse einzusetzen, welche die großen Schwachen, aber auch die kleinen unter den hochentwickelten Staaten beengen oder bedrücken mussten.

Mehr denn je trifft zu, dass Neutralität keine rein militärische sein kann, sondern ihr Bereich die gesamten zwischenstaatlichen Beziehungen sind. Natürlich gibt es keinen prinzipiellen Gegensatz zwischen kollektiver Sicherheit und Neutralität. Aber es gibt eben noch kein kollektives Sicherheitssystem. Was sich fälschlich als solches ausgibt und es nicht ist, macht Neutralität erst recht wertvoll.

Die EG-Problematik wollen wir hier nur am Rand berühren, weil uns die Annahme unwiderlegbar erscheint, dass es in der EG – wie [Martin] Bangemann so unmissverständlich sagte, dass manchem bang wurde – keine Neutralität geben kann. Natürlich kann man wie [Alois] Mock argumentieren: „Die Welt wird immer kleiner“. Aber sollen wir uns deshalb so klein machen lassen wie andere uns haben möchten, die glauben, uns verzwergen zu können, vielleicht wenn sie Maß am Außenminister nehmen? [Erhard] Busek versteht es, eingängige Formeln zu prägen, die freilich den Zugang zu einem Verständnis der Probleme erschweren, wenn er klagt: „Ein Großteil der Österreicher verwechselt Neutralität mit ,ohne uns‘.“

Er möchte verschwinden lassen, was die große Mehrheit der Österreicher begreift: Wir können nicht alles bestimmen. Aber wir wollen uns nicht alles vorschreiben lassen. Schon gar nicht die Rechnungen von Gästen und Wirten, die zugleich einkehren und hinausschmeißen wollen. Auch bei ihm ist als „Argument“ die Frage zu finden: „Bewegen wir mit oder lassen wir uns bewegen?“ Und er meint damit: Im Europäischen Wirtschaftsraum könnten wir nichts in der EG mitbestimmen. Es ist ungefähr so sinnreich, wie die Vorstellung, sich für den Schwanz eines großen Hundes zu halten und dann in der Vorstellung zu sonnen, dass man den Kerl wackeln kann.

Dergleichen redet – wohl bewusst – an Wesentlichem für unser Land, für unsere Nation, vorbei. Man braucht es nicht mit dem Überschwang zu halten: „Die Nationwerdung Österreichs vollendet sich im Zeichen seiner Neutralität“, um zu erkennen: nur die Entstehung eines neuen Selbstbewusstseins, für die Herausbildung dafür erforderlicher ökonomischer Grundlagen und eines internationalen Ansehens war und ist die Neutralität von kaum zu überschätzender Bedeutung. Wie immer etwa Regierungen Schwedens über das Verhältnis zur EG entscheiden mögen, es steht doch außer Frage: Die Schweden werden Schweden bleiben. Aber ist das auf lange Sicht so sicher mit Österreich, in der EG als Randgebiet des vereinigten Deutschlands?

In den Auseinandersetzungen über die Rolle der DDR wurde einst von einem ihrer Vertreter gesagt: „Sie existiert als sozialistischer Staat oder überhaupt nicht“, Gorbatschow hielt entgegen: „Die Existenz von Staaten wird heute durch ihre Interdependenz garantiert.“ Jeder kann sich heute darauf seinen Reim machen. Im Gesellschaftspolitischen völlig anders, aber hinsichtlich der wahrscheinlichen Folgen einer so besonderen, EG-geprägten „Interdependenz“ durchaus vergleichbar, liegen die Dinge für die österreichische Nation. Gewiss nicht von heute auf morgen, aber findet man nicht rechtzeitig Antworten auf die sich heute aufdrängenden Fragen, wohl unausweichlich.

Die marxistische Bewegung hat – es war einer von ernsten Fehlern – die Bedeutung verschiedener Tendenzen der Internationalisierung, auch die Lebensfähigkeit internationaler Institutionen krass unterschätzt. Man sollte heute nicht in den entgegengesetzten Fehler verfallen und nationale Institutionen in ihrer Bedeutung unterschätzen. Die Nation ist noch immer der Raum, in dem demokratische Beeinflussung und Kontrollen in sozialen Auseinandersetzungen entfalten können. Natürlich ist es unerlässlich, in einer geänderten Welt auch notwendige Änderungen der eigenen Stellung zu überdenken.

Das Programm der KPÖ von 1982 ging noch von der Vorstellung aus, eine Sonderstellung Österreichs, die alles andere, denn bloße Einbildung war, zu verteidigen. Ihre wichtigsten Stützen waren: Vorteile im Handel mit sozialistischen Staaten und Entwicklungsländern, die der Neutralität entsprangen, ein relativer Reichtum an Energiequellen und einigen wichtigen Rohstoffen, der einträgliche, hochentwickelte Fremdenverkehr, der relativ geringe Anteil von Rüstungsausgaben, verglichen mit paktgebundenen Staaten, die Größe des verstaatlichten Sektors und die damit verbundene größere Steuerungsfähigkeit in einem kleinen Land. Schon damals verwiesen wir auf die Abflachung, dieser Sonderstellung als Tendenz.

Seither ist manches, nicht alles zerfallen. Es wäre lohnend, zu untersuchen, was davon noch wirksam, was erhaltenswert ist. Eins ist nach wie vor richtig: Je stärker die Überfremdung unseres Landes [Anm. i.S. der internationalen Durchdringung und eines damit einhergehenden Wandels der Kapitalstrukturen, sowie einer qualitativ neuen Subordinierung unter den Hegemonismus der führenden imperialistischen Kernländer resp. Führungsmächte], desto schwächer werden nicht nur Faktoren dieser Sonderstellung, sondern auch die Grundlagen der Sicherung nationaler Existenz. Und desto größer die Möglichkeiten anderer, ihre Schwierigkeiten nach Österreich zu exportieren und sich einige seiner dauerhaften Besonderheiten selbst zunutze zu machen.

Diverse Tendenzen der Internationalisierung als objektive Kräfte anzuerkennen ist eine Sache, eine völlig andere aber, sich ihnen einfach zu unterwerfen. Wohin wäre die Arbeiterbewegung gekommen, hätte sie jeden Zwang zur Rationalisierung im Kapitalismus als unbeeinflussbaren „Sachzwang“ hingenommen? Dass in der Arbeiterbewegung die Produktivkraftentwicklung als „Gebot“ akzeptiert wurde, gegen das man Wissen und Gewissen nicht geltend machen dürfe, hat höchst negative Folgen gezeitigt. Kooperation im internationalen Maßstab ist unabdingbar: Aber eine günstige Position in der internationalen Arbeitsteilung, eine optimale Nutzung eigener Ressourcen, Fähigkeiten und Potenzen ist gewiss nicht durch Unterwürfigkeit, durch Unterordnung zu erreichen.

Als eines der ärgsten Politikdefizite der Partei (KPÖ) in der jüngsten Periode wurde das Fehlen einer klaren orientierenden, fundierten und durchargumentierten Stellungnahme zur Neutralität, zur EG empfunden. Nicht nur in der eigenen Partei. Auch wirkliche und mögliche Verbündete waren befremdet, waren außerstande, die Gründe für diesen Taktizismus, für das bloße Registrieren von Tendenzen, für das Anpassen zu begreifen, der sich als besondere Leistung eines „neuen Denkens“ ausgab. So ist die Partei bei der tieferen Durchdringung einer in vielen Zügen neuen Situation in argen Rückstand, in zeitliche Bedrängnis geraten. Hier ist der Beweis anzutreten, schon vor und noch deutlicher auf dem Parteitag:

Die Partei hat unter vielen Aspekten ihre Existenzberechtigung. Was immer man ihr vorwerfen, vorhalten oder andichten mag, überprüfbar hat sie mehr für die Entstehung des nationalen Bewusstseins, für die Verteidigung nationaler Interessen – im Denken und hinsichtlich der Opfer – geleistet als jede andere Partei, ohne Beiträge in Frage zu stellen, die andere aus andersgearteten Parteibindungen, nicht selten mit Kommunisten zusammenwirkend erbracht haben. Es kann kaum eine bessere Widerlegung all jener geben, die uns totsagen, als das, was die Kommunistische Partei zu den Möglichkeiten der Sicherung von Unabhängigkeit, von nationaler Existenz zu sagen hat. [Ende].

Foto: Ernst Wimmer bei einem Vortrag

Aktueller Nachtrag und Kommentar, 33 Jahre später – Andreas Wimmer, Juni 2024

Im Frühsommer 2024 präsentiert sich die Neutralität Österreichs als Farce, als heuchlerisches Getue von Seiten der offiziellen Politik und den Propagandamedien. Von Souveränität, von Neutralitätspolitik ist, abgesehen von vereinzelte Lippenbekenntnissen, weder etwas zu sehen noch zu hören.

Vom Bundespräsidenten abwärts, über die Schwarz-Grüne-Regierung, stehen bedingungslose Unterstützer für die Regierung in Kiew die diesen Krieg provoziert hat. Die Medien und nicht unerhebliche Teile der Gesellschaft, bis hin zu Parteien und Organisationsgebilden, die sich als Links verstehen – allesamt stehen für die sind sie in ihrem politischen Agieren letztlich Parteigänger und treue Vasallen an der Seite der Transatlantiker. Sie sind der aggressiven und kriegsorientierten NATO/EU-Politik.

Ob es um Österreichs Teilnahme an der sogenannten „Partnerschaft für den Frieden“, der Teilnahme an den NATO-Battlegroups, der beschlossenen Teilnahme an der „European Sky Shield Initiative“ geht, oder um das Abstimmungsverhalten im EU-Parlament. Man steht für die bedingungslose Unterstützung (politisch wie finanziell) der Selenskyj-Junta in Kiew und für die kriegführende Ukraine und votiert bei der UNO mehrfach gegen einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza. Österreich ist auf vielfache und unterschiedliche Weise Komplize des US-Imperialismus und seiner Kriege.

Das ist das absolute Gegenteil zu der in der Verfassung festgeschriebenen, verpflichtenden Neutralitätspolitik und das Gegenteil von eigenstaatlicher Souveränität.

Die Souveränität Österreichs wurde in den zurückliegenden Jahrzehnten durch vielerlei Geschehnisse, wie auch aufgrund vieler Entscheidungen über die Köpfe der Bevölkerung unseres Landes hinweg, substanziell von außen und von innen, bewusst und gezielt untergraben sowie minimiert.

Dreh-und Angelpunkt war zum einen die historische Zäsur der Konterrevolution in der Sowjetunion und die damit einhergehenden Veränderungen der globalen Machtverhältnisse zugunsten eines entfesselten Neoliberalismus, und zum anderen die an manipulativen Maßnahmen nicht zu überbietende Durchsetzung des Beitritts Österreichs zu EU.

Dem aktuellen globalen Kampf um die Durchsetzung der Interessen der global-strategischen Position des US-Imperialismus mittels seines umfassenden Anspruchs auf Hegemonie steht eine sich herausbildende neue Weltordnung und die Schaffung eines multipolaren Systems, im Rahmen der BRICS+, gegenüber.

Die in der Verfassung verankerte „Immerwährende Neutralität“ Österreichs ist die einzig vernünftige Antwort auf die aktuellen Geschehnisse und auf das gebetsmühlenartige Wiederholen des Mantras, dass man den Krieg gegen den Russen um jeden Preis gewinnen müsse.

Der US-Präsident Biden äußerte sich sehr deutlich. Nach seinen Worten befürchten die USA, dass einige Länder eine unabhängigere Politik verfolgen würden, wenn Kiew im Ukraine-Konflikt besiegt werde. Sagte Biden dem Time Magazine.

Und es wird selbstverständlich so oder so dazu kommen, dass die von den USA und ihren Vasallen unterstütze und ausgeblutete Ukraine diesen Krieg verlieren wird.

Wo steht Österreich dann? Als souveräne Nation in der großen Gemeinschaft der vielen Nationen dieser Welt? Welche Perspektive haben wir? Sehr wahrscheinlich unter neuen Bedingungen. Zu welchem Selbstverständnis finden wir, befreit von jenen die uns heute ihren Willen diktieren?

Soweit zum prinzipiellen-strategischen und zum politisch-praktischen Nutzen der Neutralität. Für ein souveränes und neutrales Österreich!

Andreas Wimmer

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