Nie wieder! Hiroshima und Nagasaki im Lichte der Vergangenheit und Blick der Gegenwart, Teil 2

Die unter Reagan projektierte atomare Apokalypse – an die heute wieder nahtlos angeknüpft wird – markierte dabei keine entlegenen Planspiele. Im Gegenteil. Sie beruhte vielmehr auf der Nuklear-Strategie eines „präemtiven“ Atomkriegs.

„Victory is possible“ – die ‚moderne‘ US-Nuklear-Strategie des „präemptiven“ Atomkriegs

Die Programmatik dazu bildete die berühmte Veröffentlichung der beiden Militär-Strategen und Falken Colin S. Gray und Keith Payne in „Foreign Policy“ 1980 „Victory is possible“ („Sieg ist möglich“). Die beiden Strategen plädierten darin für eine US-Nuklear-Strategie eines atomaren Überraschungsangriffs auf die Sowjetunion. Mit einem überraschenden und schnellen „Enthauptungsschlag“, der die sowjetischen Kommandostrukturen, Abschussanlagen, Raketensilos usw. breitestmöglich zerstört, auf Basis entsprechend moderner, schneller und präziser US-amerikanischer Erstschlagskapazitäten, wäre ein „Nuklear-Krieg möglich“ und „gewinnbar“. Die von Moskau im Gegenschlag trotzdem noch abgefeuerten Raketen sollten durch modernere Abfangkapazitäten – seinerzeit dann: durch das berühmte weltraumgestützte Schutzschild SDI – so weit als möglich abgefangen werden. Freilich, völlig wasserdicht lässt sich die eigene Abwehr natürlich nicht gestalten. Also sind natürlich auch noch eigene „akzeptablen Verluste“ mit zu veranschlagen. Gray und Payne veranschlagten diese „akzeptablen Verluste“ auf etwas mehr als 20 Millionen US-Opfer. Von der Sowjetunion, aber auch von Europa wäre natürlich nicht viel mehr als eine radioaktiv strahlende Ruinenlandschaft geblieben. Ob der von Gray und Payne nicht so recht miteinberechnete nukleare Winter eines derart massiven US-Atomschlags indes nicht überhaupt die menschliche Gattung oder mindestens große Teile dieser rund um den Globus auslöschte, steht in den Sternen – tat im projektierten Sternenkriegs unterm Sternenbanner aber nichts weiter zur Sache.

Der apokalyptische Wahnsinn war auch so zynisch und menschenverachtend genug: „Wenn die atomare Macht der USA dazu dienen soll, den außenpolitischen Zielen der USA zu dienen, dann müssen die Vereinigten Staaten in der Lage sein, rational Atomkrieg zu führen. (…) Die Vereinigten Staaten sollten planen, die Sowjetunion zu besiegen und dies zu einem Preis, der eine Erholung der USA erlauben würde. Washington sollte Kriegsziele festlegen, die letztendlich die Zerstörung der politischen Macht der Sowjets und das Entstehen einer Nachkriegs-Weltordnung, die den westlichen Wertvorstellungen entspricht in Betracht ziehen.“

Nun liegt die Versuchung nahe, so Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung (IMI), „derlei Überlegungen als reichlich abstruse Relikte des Kalten Krieges abzutun, allerdings galt Colin S. Gray bis zu seinem Tod im Februar 2020 als einer der wichtigsten US-Nuklearstrategen. Und es war Kaith Payne, der unter anderem als Staatssekretär im Pentagon unter George W. Bush maßgeblich für die Nuklearpolitik dieser Zeit verantwortlich war.“ Wäre es im notorischen Verblendungszusammenhang des Westens nicht derart rigoros exkulpiert, fast müßig darauf hinzuweisen, dass der unter Bush jr. ausgerufene „Krieg gegen den Terror“ explizit auch die Option des atomaren Erstschlags umfasste (Nuklear-Doktrin 2002).

Die Anfang/Mitte der 1980er Jahre in Anschlag gebrachten Erstschlagswaffen und Abwehr waren bekanntlich die berüchtigten Cruise Missiles und Pershing II sowie die weltraumgestützte „Strategische Verteidigungs-Initiative“ (SDI) in Reagans projektierten „Krieg der Sterne“.

Und interessierten Leser:innen (die Journalistenzunft der „Qualitäts-“Medien fiel und fällt en gros nicht darunter) war im hiesigen Kontext im Juni 2019 aufgrund einer Pentagon-Panne vorübergehend auch die fortgesponnene Nuklear-Doktrin des Vereinigten Generalstabs (Joint Chiefs of Staff) der US-amerikanischen Streitkräfte zugänglich.

„Ein Feind Amerikas zu sein, kann gefährlich sein, aber ein Freund zu sein, ist fatal” (Henry Kissinger) 

Der Autor Niki Müller hat vor nicht allzu langem auf diesen bekannten, zynischen Ausspruch Kissingers – über den „Kollateralschaden“ Europa generell – auch nochmals spezifischer den Finger gelegt: „Nicht nur die Sowjetunion war im Fadenkreuz – ebenso standen Ziele in den Warschauer-Vertrags-Staaten und in China auf der Liste. Dazu gehörte auch die Hauptstadt der DDR. Sie sollte im Ernstfall ‚systematisch zerstört‘ und dabei gezielt die ‚Bevölkerung‘ vernichtet werden. 91 Ziele allein in Berlin sollten mit Atombomben getroffen werden. Die damit einhergehende Zerstörung nicht nur Westberlins wurde akzeptiert. Die laut SAC-Plan vorgesehenen Atombomben waren weit gewaltiger als jene von Hiroshima und Nagasaki. Sie sollten eine Sprengkraft zwischen 1,7 und 9 Megatonnen haben – die Hiroshima-Bombe hatte eine Sprengkraft von 13 Kilotonnen.“ Und auch die transatlantischen Partner in einem atomaren Inferno in Europa mitverglühend feilten die Militärstrategen Washingtons unentwegt weiter: „In den 1980er-Jahren wurden die Pläne der US-Regierung bekannt, strategisch wichtige Gebiete in der BRD atomar zu verminen und gegebenenfalls zu verseuchen.“  

Die pathologischen Ausmaße des US-Bellizismus reichten dabei seit den Tagen des Plans „Operation Today“ vom Dezember 1947 (mit dem die Sowjetunion atomar ausradiert werden sollte), bis hin zur Episode von Trumans Marineminister, James Forrestal, den die Hysterie 1949 dazu trieben, sich durch ein Fenster des National Naval Medical Centers aus dem 16. Stock in den Tod zu stürzen, weil er „die Russen“ durch das Krankenhausfenster einsteigen sah.

Teil 3 und Schluss folgt morgen

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