Nie wieder! Hiroshima und Nagasaki im Lichte der Vergangenheit und Blick der Gegenwart, Teil 3 (Schluss)

Obwohl der Ersteinsatz von Kernwaffen seit Hiroshima als international geächtet gilt und allerspätestens seit der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs vom 8. Juni 1996 absolut unvereinbar mit dem Völkerrecht ist, beharrt die USA und NATO bis heute auf ihrer strategischen Verankerung einer sog. „Vorwärtsverteidigung“ oder „präemtiven“ Atomwaffen-Erstschlägen – und erneuern die Nuklear-Strategie des Ersteinsatzes regelmäßig. Und dies zu allem noch vor dem Hintergrund, dass das heutige (viel „modernere“) Atomwaffenarsenal nochmals um ein Vielfachtes an Zerstörungswucht gewonnen hat.

Über die Schwelle der apokalyptischen Gemeingefährlichkeit: forcierte westliche Blockkonfrontation im Atomzeitalter

Stärker noch: Die neue, „unfassbare Nonchalance“ (Brigadegeneral a.D. Helmut Ganser) mit der im Kontext des von Washington ausgerufenen neuen Weltordnungskonflikts und des Ukrainekriegs heute in den Hauptquartieren der NATO und zahlreichen Hauptstädten des Metropolenkapitalismus wieder über die Führbarkeit eines Atomkriegs diskutiert und seine Überlebbar- und Gewinnbarkeit erwogen wird, verschlägt selbst hartgesottensten ehemals höchsten militärischen Führungskreisen die Sprache.

Das neue atomare Wettrüsten und die neuerliche Renaissance der Idee eines führbaren Atomkriegs

„Wir leben in einer der gefährlichsten Zeiten in der Geschichte der Menschheit“, warnte denn auch das renommierte Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI jüngst. „Wir haben seit dem Kalten Krieg nicht mehr erlebt, dass Atomwaffen eine so herausragende Rolle in den internationalen Beziehungen spielen.“ Entsprechend explodierten auch die Ausgaben des neuen nuklearen Wettrüstens in den vergangenen fünf Jahren um mehr als ein Drittel (von 68 Milliarden auf 91 Milliarden Dollar) – wovon mit knapp 52 Milliarden auf die USA mehr als auf alle anderen Atommächte zusammen entfällt. Dem nicht genug zeigte sich die NATO auf ihrem 75 Jahre Jubiläumsgipfel gerade felsenfest entschlossen, die Hochrüstungsspirale weiter anzukurbeln.

Begleitend kündigte die NATO einen Ausbau des einsatzbereiten Atomwaffenarsenals des westlichen Militärbündnisses an, sprich: mehr Atomraketen und Sprengköpfe aus den Silos auf Scharf zu stellen. Mit der erneuten Hochrüstung an Kernwaffen, den neuen Generationen von Atombomben und den  –einst schon in die Mottenkiste der Nuklearkriegs-Zocker verräumten – Unterminierungsvorhaben der ohnehin fragilen Balance des atomaren „Gleichgewichts des Schreckens“ im Sinne des „Wer als Erster schießt, stirbt als Zweiter“, wird nicht weniger als der Idee führbarer resp. geplanter Atomkriege wieder der Weg gebahnt. Denn mit der Renaissance der Idee bzw. dem Unterfangen einer mutmaßlichen Möglichkeit gezielter „Enthauptungsschläge“ gegen die politischen und militärischen Führungsstrukturen des Kontrahenten oder dem Glauben, die eigene Abwehr so dicht und präzise organisiert zu haben, dass man die Atomraketen des Gegners alle oder mindestens weitgehend abfangen kann, und damit eine Gegenwehr des Kontrahenten (weitgehend) auszuschalten, oder den Wahnsinnsangriffen auf die Nuklearabwehr des Gegners, kann sich nämlich (wie von Colin S. Gray und Keith Payne vortheoretisiert) die nämliche Seite in der Lage zu einem Atomkrieg wähnen.

Entgegen dem medial vermittelten Narrativ hat dieser erneute Wahnsinn indes nichts mit dem Ukraine-Krieg zu tun, wie schon ein bloßer Blick auf die bereits vor langem auf den Weg gebrachte US-Strategie einer „Revolution in Military Affairs“ schlagartig verdeutlicht, mit der das MAD-Prinzip („Mutually Assured Destruction“), sprich: Diktum des atomaren Patts des Kalten Kriegs außer Kraft gesetzt werden soll. Entsprechend sieht auch bereits die US-Nukleardoktrin von 2018 die Option „(regional) begrenzter Nuklearkriege“ seitens der Führungsmacht des Westens vor. Ein militärischer Wahnsinn in den sich zugleich die einseitigen Aufkündigungen der ABM- und INF-Verträge durch Washington und der Austritt der USA aus dem „Open Skies-“Abkommen einfügen und ihren Platz finden.

„Sky Shield“: Die Schaffung der Option für einen atomaren Erstschlag

Entsprechend stellt auch das euphemistisch als „Abwehrsystem“ firmierende „Sky Shield“-Projekt, dem Österreich am 28. Mai offiziell beigetreten ist, entgegen seiner verstellenden öffentlichen Darstellung vielmehr einen fundamentalen Baustein eines militärisch-konfrontativen nuklearen Paradigmenwechsel dar. Denn das „Raketensystem“ der europäischen NATO- und Vasallenländer, soll unter militärischem Befehl des NATO-Oberkommandeur, dem sogenannten Saceur, auch einen „heißen“ Krieg mit Russland führbar machen – mit gezielten „Enthauptungsschlägen“ und dicht gestaffelter Ausschaltung von dessen „Zweitschlagskapazität“. Gerade das sollte der 1972 abgeschlossene (von George W. Bush bereits 2001 einseitig aufgekündigte) ABM-Vertrag verhindern, dass sich eine Seite durch den Aufbau eines flächendeckenden Rakentenabwehrsystems nahezu unverwundbar gemacht hätte – mit fatalen Folgen für das Prinzip der gesicherten gegenseitigen atomaren Abschreckung“, worauf vor kurzen mit Jochen Scholz, ehemals u.a. im NATO-Hauptquartier Alliierte Luftstreitkräfte tätig, nicht zuletzt auch wieder ein Ex-Militär von Rang den Finger legte. „Im Klartext bedeutet dies“, so Scholz es kurz und direkt auf den Punkt bringend, „die Schaffung einer Option für den atomaren Erstschlag“ der NATO und des Westens.

Wahnsinn mit Kalkül

Auf einem anderen Frontabschnitt des neuen Weltordnungskriegs wurde die Schwelle zur apokalyptischen Gemeingefährlichkeit auch bereits schon überschritten. Vom politischen Personal und der Journaille des Westens als „spektakulärer Schlag“ Kiews (und der USA) gegen „Moskau“ und „Putin“ gefeiert, stockte Militärexperten hingegen der Atem ob des Wahnsinnsakts der mehrmaligen Bombardierung russischen Radarsysteme zur Frühwarnung vor US-amerikanischen Atomschlägen auf das Land. Diese Angriffe, so selbst der ansonsten stets medial zu Wort gebetene, bekannte österreichische Militärstratege und Militärhistoriker Markus Reisner, „könnte die Bedingungen erfüllen, die Russland im Jahr 2020 öffentlich für gegnerische Angriffe festgelegt hat, die einen nuklearen Vergeltungsschlag auslösen könnten“. Die Lage ist damit „neuerlich eskaliert“ worden und „überaus ernst“. Angesichts dieses Wahnsinns mit Vorsatz meldete sich der ehemalige Vorsitzender des NATO-Militärausschusses Harald Kujat noch eindringlicher: „Ich befürchte“, so der Ex-NATO-Militär zum Vabanquespiel des Westens, „der Ukraine-Krieg könnte zur Urkatastrophe des 21. Jahrhunderts werden“ – und sei es „bloß“ aus Versehen durch Missverständnisse und Fehlinterpretationen oder auch forcierte Provokationen bzw. ein halsbrecherisches militärisches Austesten.

Ja, mit dem NATO-Jubiläumsgipfel kehren nunmehr in Form der Raketenstationierung von „Tomahawk“-Marschflugkörpern und Hyperschallraketen des Typs „Dark Eagle“ sogar die nach langem Kampf der Friedensbewegung und Millionenmassen 1991 aus Deutschland endlich abgezogenen Mittelstreckenraken und Marschflugkörper „Uncle Sams“ zurück. Allerdings geht auch diese mitnichten auf den jetzt gedeichselten Kontext des Ukraine-Kriegs zurück, sondern war – worauf wir bereits früh verwiesen und sich mittlerweile auch partiell durchgesprochen hat – schon 2021 (und damit zugleich vor Zuspitzung des Ukraine-Konflikts zu Ende des Jahres) beschlossene Sache. Ergänzt um das Atomwaffenarsenal Großbritanniens und Frankreichs, sowie den US-amerikanischen B61 Atombomben der „nuklearen Teilhabe“ auf deutschem, italienischem, holländischem oder auch belgischem Boden, als Patriot und Arrow 3, und die ballistischen Raketen in Polen und Rumänien sind die Ingredienzien für ein atomares Inferno resp. „Hiroshima 2.0“ damit weitgehend angerichtet und die zeitweiligen Erfolge der Friedensbewegung auf breiter Front annihiliert.

Und doch fegt der gegenwärtige bellizistische Tsunami selbst durch Gewerkschaften und nicht unerhebliche Kreise einer gewissen oder angeblichen Linken. Daher sei als einer der löblichen Ausnahmen der arrivierten Köpfe und eines autonomen linken Denkens, dem bekannten Politikwissenschafter, Rechtsextremismus- und Armutsforscher Christoph Butterwegge – der sich „derzeit wie in einem über 40 Jahre alten Film (fühlt)“ – das Wort gegeben: „Die von 2026 an geplante Stationierung von Marschflugkörpern des Typs Tomahawk sowie ballistischer und Hyperschallraketen soll die Möglichkeit schaffen, Ziele weit auf russischem Gebiet zu treffen. Das soll einem möglichen Irrglauben Wladimir Putins entgegenwirken, Nato-Territorium aus relativer Sicherheit angreifen zu können. Dabei ist die Abschreckungswirkung der genannten Waffensysteme gleich null, weil sie ein Aggressor – hieße er Putin oder wie auch immer – mit großkalibrigen Nuklearwaffen relativ leicht ausschalten könnte. Dienten sie tatsächlich dem angegebenen Zweck, würde man sie vernünftigerweise auf mehrere Nato-Staaten verteilen, um dem Feind einen Gegenschlag zu erschweren, und nicht ausschließlich in Deutschland stationieren. Ansonsten ergeben die US-Raketen nur als Erstschlagswaffen militärisch Sinn, weil sie russische Kommandozentralen vernichten könnten.“ Dem soll hier abschließend nichts weiter mehr hinzugefügt werden.

Vor dem Hintergrund dieser neuen Atomkriegsgefahr und dem drohenden Szenario, dass der Imperialismus und mit ihm die Menschheit mit einem großen Knall 2.0 abtreten, gewinnen das heurige Gedenken an das nukleare Kriegsverbrechen in Hiroshima und Nagasaki und die Verteidigung sowie Wiedereröffnung aktiven Perspektiven der Österreichischen Neutralität nochmals speziell an Brisanz.

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