Babler und die Umjustierung der kritischen Debatte zu EU-Militärunion

Nach der Nestroy’schen Wahl-Farce zum SPÖ-Vorsitz machte in einem unnachahmlichen Pallawatsch jetzt also doch noch Andreas Babler das Rennen. Nun wäre es natürlich reizvoll eingehender auf seine nebulose und zahnlose Beschwichtigung zu seiner landein, landauf Schnappatmung verursacht habenden EU-Kritik, doch „besser darüber (zu) sprechen, wie wir die EU sozialer und bürgernäher gestalten“ und „in Richtung Sozialunion fortentwickeln (können)“, einzugehen. Denn ohne scharfe Konfrontation mit dem EU- und Euro-Regime, deren struktureller Verfasstheit und strukturellen Zwängen sowie ohne konsequente, harte Klassenkämpfe gibt es keine Möglichkeit auf Durchsetzung einer grundlegenden sozialen Wende. Hier soll es aber zunächst um den Anlassfall der zwischenzeitlich Wogen schlagenden Aufregung gehen – die EU-Militärunion und ihre Beistandsverpflichtungen.

Dass sich die Verhältnisse seit dem inkriminierten, drei Jahre zurückliegenden Interview des Videopodcasts von 2020 nochmals drastisch weiterverschärft haben und die Eskalation des Ukraine-Konflikts als Katalysator die Dämme überhaupt regelrecht brechen ließ, muss hier in seinen ganzen Dimensionen aus Platzgründen vorläufig zurückgestellt bleiben. Ist aber in zumindest diesem oder jenem Aspekt eigentlich eh allgegenwärtig. Diesbezüglich mag denn neben der Vorstellung der neuen EU-Kommission durch die nunmehrigen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen 2019 als „geopolitischer Kommission“ genügen, etwa auf die seither rapide zunehmende gezielte und systematische wirtschaftliche, politische und militärische Konfrontation mit China – das in vasallenhafter Nachäffung Washingtons auch von der EU seit 2020 als „systemischer Rivale“ definiert wird –, auf die Rolle der EU als offener Kriegspartei im Ukraine-Krieg, auf den neuen Rüstungswettlauf sowie darauf zu verweisen, dass die EU seit dem NATO-Gipfel letzten Sommer (2022) auch offiziell als „einzigartiger und unentbehrlicher Partner“ gekennzeichnet wird. Sprich: als „einzigartiger Partner“ in einer militärischen Globalstrategie, die „unsere Freiheit“ heute anstatt wie die letzten beiden Jahrzehnte am Hindukusch, nun im Südchinesischen Meer „verteidigt“, und zwar bis hin zur apokalyptischen Gemeingefährlichkeit.

Jedoch, bereits Mitte November 2017 unterzeichneten 23 der 28 EU-Mitgliedsstaaten die „Ständige Strukturierte [militärische] Zusammenarbeit“ („SSZ“, bzw. englisch: „Pesco“ – „Permanent Structured Cooperation“) und brachten damit auf neuem Niveau eine EU-Militärunion auf den Weg. Entgegen der vielfach herangezogenen „Begründungen“ dieses Schritts in Richtung „militärisches Kerneuropa“ und „EU-Armee“ mit dem Amtsantritt Donald Trumps im Weißen Haus und einer daraus in der Öffentlichkeit abgeleiteten umfassenden „strategischen Souveränität“, wurde diese weitere Militarisierung der EU bereits im Sommer 2016 auf deutsch-französische Initiative gestartet. Also zu einem Zeitpunkt, als noch niemand ernsthaft mit dem Sieg des faschistoiden Clowns als Zirkusdirektor der Vereinigten Staaten rechnete. Von der ein halbes Jahrzehnt späteren Eskalation um die Ukraine ganz zu schweigen. Vorgestellt von den beiden damaligen Verteidigungsministern Deutschlands und Frankreichs Ursula von der Leyen und Jean-Yves Le Drian, drängte die deutsch-französische Achse vielmehr schon im September 2016 auf eine „Erneuerung der GSVP“ („Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik“) „im Rahmen“ einer „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO)“. Entsprechend euphorisch feierte die seinerzeitige deutsche Verteidigungsministerin und jetzige Kommissionschefin von der Leyen den Beschluss zur EU-SSZ denn auch als Startschuss einer „Europäischen Verteidigungsunion“ (sprich: Militär- und Kriegsunion) und wichtigen „Schritt in Richtung der Armee der Europäer“ – also einer Armee unter zentralem Brüsseler Kommando, für eine EU-Großmachtpolitik, wie sie 2016 mit der „EU-Globalstrategie“ von den EU-Staats- und Regierungschefs beschlossen und in verschiedenen Strategiedokumenten festgehalten wurde.

Und während sich etwa das NATO-Mitglied Dänemark (neben Malta und Großbritannien) dieser Militärkooperation und EU-Kriegsunion seinerzeit verweigerte, unterzeichnete der Außenminister des neutralen Österreichs (noch unter Rot-Schwarz) in Brüssel die Nostrifizierungsurkunde für „SSZ/Pesco“ und bekräftigten die nachfolgende schwarz-blaue und gegenwärtige schwarz-grüne Regierung in ihren Koalitionsprogrammen die Teilnahme an der EU-SSZ und legt dahingehend auch ihr ausdrückliches „Bekenntnis zu Einsätzen unter internationaler Führung bzw. Mandatierung“ ab.

Dies beinhaltet neben der Beteiligung an globalen EU-Militärmissionen (z.B. im Rahmen der EU-Battlegroups) bzw. „substanzielle Unterstützung“ für EU-Einsätze zu leisten (via Personal, Material, Ausbildung, Infrastruktur „und Sonstigem“), auch die Verpflichtung einer „regelmäßigen“ Erhöhung der Militär- und Rüstungsausgaben. Anvisiert ist eine Erhöhung der Etats auf 2% des BIP, was in Österreich eine satte Verdreifachung zu den damaligen 0,65% des BIP bedeutete. Hinzu gesellt sich noch der Europäische Verteidigungsfonds (EVF) zum zusätzlichen Anschub der Investitionen im Rüstungssektor und anderes.

Als aktuell nächster Schritt auf dem Wunschzettel der Bundesregierung – ob schwarz oder oliv-grün – steht bereits eine Beteiligung Österreichs an der „European Sky Shield Initiative“, dem geplanten Luftabwehrsystem oder „Raketensystem“ der europäischen NATO-Länder, das unter militärischem Befehl des NATO-Oberkommandeur, dem sogenannten Saceur, im hysterischen Kriegsgetrommel auch einen „heißen“ Krieg mit Russland führbar machen soll in dem es dessen Zweitschlagskapazität unterbindet.

Freilich, mit dem Ukraine-Krieg ging eine neue transatlantische Vasallisierung der EU einher. Die anvisierte „strategische Souveränität“ als eigenständiger imperialer militärischer Weltmacht wurde vom EU-Außenbeauftragten Josep Borrell zwischenzeitlich auch offiziell kassiert. Nicht mehr eine strategische Souveränität der EU als eigenständiger wirtschaftlicher und militärischer Weltmacht steht heute im Brüsseler Fokus des europäischen Imperialismus, sondern jene „des Westens“ und „der NATO“. Für die europäische Sozialdemokratie hat diese Veränderung und subalterne transatlantische Nibelungentreue zuvor im Grunde bereits Olaf Scholz in seiner berüchtigten „Zeitenwende“-Rede vorweggenommen. Diese freimütige Umdeutung der EU-Militärunion zum bloßen Juniorpartner des US-imperialistischen Souveräns in Washington indes, konnte Babler unter dem Eindruck der seinerzeitigen geopolitischen Ambitionen Brüssels freilich in ihrer ganzen Subalternität noch nicht voraussehen. Daraus ist ihm kein Vorwurf zu machen. Sie heute nonchalant zu übergehen, steht indessen auf einem ganz anderen Blatt.

Worin genau – außer der faktenbefreiten Narrative über die EU und EU-Militärunion sowie Karriereaspirationen im politischen Establishment – sich denn also das Zeter und Mordio gegen die, wenn auch sprachlich zugegebenermaßen etwas eigenwilligen, Ausführungen begründet (außer dem Herrschaftsdiskurs einen Stein in den Garten geworfen zu haben), bleibt aus linker, antimilitaristischer und friedenspolitischer Perspektive unerfindlich. Und das betrifft nicht nur oder vielleicht sogar noch weniger des neuen SPÖ-Vorsitzenden Distanzierungen von einstigen Einsichten, um unter rigorosen inhaltlichem Federlesen in seinem Canossa-Gang die oberste Sprosse der parteiinternen Karriereleiter zu erklimmen, als die absonderlich-albernen ‚entschuldigend‘ zur Seite springenden EU-Ergüsse eines beispielsweise Niki Kowall, stellvertretend für das Gros des „linken“ Unterstützerlagers, das die wenig verbliebenen nachdenklichen SozialdemokratInnen in SP und Gewerkschaften mit dem Mainstream zu „Friedens-Schwurblern“ stempelt.

Die „Solidarwerkstatt“, in deren Engagement Andreas Babler kurzzeitig in die Bredouille geriet, hielt es wiederum hinsichtlich der ach so „unerhörten“ Kritik an den EU „Beistandsverpflichtungen“ nicht ganz unoriginell damit: „Da Babler nun etwas werden will [und es zwischenzeitlich auch geworden ist, Anm.] und deshalb vor lauter Distanzieren von seiner Vergangenheit seine damaligen Aussagen nicht mehr verteidigen mag, wollen wir dem früheren Babler zur Seite stehen“:

„Die Verfassung der EU ist tatsächlich militaristischer und aggressiver als der Nato-Vertrag:

  • So findet sich im EU-Vertrag eine permanente Aufrüstungsverpflichtung für alle Mitgliedsstaaten (EU-Vertrag, Art. 42, Abs. 3), die seit 2018 durch die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (EU-SSZ/Pesco) zusätzlich mit Zähnen versehen wurde. Eine Aufrüstungspolitik gibt es in vielen Staaten, aber weltweit einzigartig dürfte sein, dass die EU die Pflicht zur militärischen Aufrüstung in den Beton der Verfassung gegossen hat.
  • Im EU-Primärrecht findet sich auch die Selbstermächtigung des EU-Rats zu weltweiten Kriegseinsätzen – auch ohne Mandat des UNO-Sicherheitsrates (EU-Vertrag, Art. 43). Also die Bereitschaft zur Selbstmandatierung zu völkerrechtlichen Kriegen.
  • Die Beistandsverpflichtung (EU-Vertrag, Art. 42, Abs. 7) ist … härter als die des NATO-Vertrages, weil sie bedingungslos militärischen Beistand einfordert. Über die sog. „Irische Klausel“ kann sie für einzelne Mitgliedsstaaten, z.B. Neutrale, bestenfalls auf die Härte der NATO-Beistandsverpflichtung gesenkt werden (è Link), keinesfalls aber darunter.
  • Ebenfalls härter als im NATO-Vertrag ist die sog. „EU-Solidaritätsklausel, die zum militärischem Beistand auch bei sog. „Katastrophen menschlichen Ursprungs“ verpflichtet (AEUV, Art. 222). Damit sind laut EU-Rat auch „schwerwiegende Auswirkungen auf Vermögenswerte“ (Beschluss EU-Rat, 24.6.2014) gemeint: die Ausrufung einer militärische Bestandsverpflichtung zur Niederschlagung großflächiger Streiks bzw. sozialer Proteste ist damit keineswegs ausgeschlossen. Diese autoritäre Rute stellte übrigens der damalige EU-Kommissionspräsident Barroso 2010 den südeuropäischen EU-Staaten bereits unmissverständlich ins Fenster.“

An diesem Punkt lässt sich antimilitaristisch, antiimperialistisch und friedenspolitisch getrost abbrechen. Man muss wahrlich nicht durch jede Pfütze gewatet sein, um zu wissen dass es geregnet hat.

Foto: Rock Cohen, Flickr (CC BY-SA 2.0)

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