Schützt der „Sky Shield“ Österreich?

„Ein neues, milliardenteures Luftabwehrsystem soll Europa vor russischen Raketen schützen“ – so die Erzählung zu Sky Shield. „Doch macht sich das neutrale Österreich damit erst zum Angriffsziel? Und wären andere Systeme nicht ausreichend und besser vereinbar mit der Neutralität?“, entgegnet diesem Geschwätz gerade General i.R. DI Mag. Günther Greindl (ehem. Leiter der Generalstabsgruppe für Sicherheitskooperation im BMLV und erster Militärrepräsentant Österreichs bei der EU und NATO) in einem Kommentar, den wir hier mit freundlicher Genehmigung leicht gekürzt wiedergeben wollen. Zumal es Bände spricht, dass es – im Gegensatz zum grassierenden Bellizismus in der Linken und organisierten Arbeiterbewegung – heute vielfach gerade ehemals hochrangige Ex-Militärs sind die der weiteren Militarisierung der internationalen Beziehungen und dem verwilderten „Zeitenwende-“Denken entgegentreten.     

Mit dem Beitritt zur Initiative „Sky Shield“ hat die Regierung in Österreich eine Diskussion ausgelöst, die grundsätzliche Fragen der Sicherheitspolitik und der Neutralität berührt. Regierungsnahe Sicherheitsexperten behaupten, Sky Shield sei für unsere Luftverteidigung unabdingbar, da Österreich seinen Luftraum nicht alleine schützen könne. Österreich werde erstmals in der Lage sein, Raketen schon in der Stratosphäre bekämpfen zu können. Die Gegner des Projekts sind der Ansicht, Sky Shield sei mit der Neutralität unvereinbar und von zweifelhaftem Nutzen. Bei so unterschiedlichen Bewertungen lohnt es sich, das – sehr teure – Projekt „Sky Shield“ etwas näher zu betrachten.

Der Sky Shield

Die „European Sky Shield Initiative“ (ESSI) wurde von Deutschland 2022 auf den Weg gebracht. Die Initiative soll das bestehende Luftverteidigungssystem der NATO, das „Integrated Air Defence System“, stärken, um russische Raketenangriffe abzuwehren. Bis jetzt wollen 22 NATO-Staaten sowie Österreich und die Schweiz daran teilnehmen. Frankreich, Italien, Spanien und Polen haben sich noch nicht entschieden. Frankreich bemängelt die einseitige Ausrichtung auf US-Gerät und US-Technologie. Die US-Rüstungsindustrie wäre der unangefochtene Profiteur. Europa würde sich in eine dauerhafte Abhängigkeit von den USA begeben. Warum die neutralen Staaten Österreich und Schweiz von Beginn an mitmachen, dürfte der neuen sicherheitspolitischen Ausrichtung der beiden Regierungen geschuldet sein, die eine verstärkte und engere Kooperation mit der NATO vorsieht.

Der Beitritt Österreichs

Die österreichische Regierung folgt, so wie die EU, der Einschätzung der NATO, die seit dem Ukraine-Krieg den früheren strategischen Partner Russland wieder als ewigen Feind der westlichen Welt betrachtet. Die EU müsse daher kriegstüchtig gemacht werden, so das zentrale Argument. Der Schutz vor russischen Raketenangriffen wird somit zur vordringlichen Aufgabe für das gesamte Gebiet der EU. Österreich macht freiwillig mit, obwohl ein Land mit einer glaubwürdigen Neutralität gute Chancen hat, sich aus einem Krieg herauszuhalten. Denn wenn Österreich seine Neutralität zu Erde und in der Luft verteidigt und die Nutzung seines Territoriums durch Kriegsparteien verhindert: Welchen Grund sollte Russland haben, das neutrale Österreich mit Raketen anzugreifen?

Ganz anders wäre die Sicherheitslage, wenn Österreich bei der ESSI mitmacht. Denn als Teilnehmer am Sky Shield ist Österreich von vornherein ein legitimes Angriffsziel. Diese Befürchtung wird mit dem Hinweis entkräftet, dass in einer Zusatzerklärung festgehalten ist, dass eine operative Beteiligung an der Raketenabwehr nicht beabsichtigt ist. Es gehe lediglich um die gemeinsame Beschaffung von Geräten und um Ausbildungsmaßnahmen. Der Beitritt sei daher mit der Neutralität vereinbar. Dies werde auch von Völkerrechts-Experten bestätigt.

Dieser Argumentation kann man nur schwer folgen. Sky Shield ist als strategisches Abwehrsystem konzipiert, das Raketen bereits in der Stratosphäre abfangen soll. Dafür ist der Ankauf von Patriot- oder Arrow 3-Systemen erforderlich, die mehrere Milliarden Euro kosten werden. Österreich wird bei einem Ankauf dieser Systeme zwangsläufig operativer Teilnehmer am Sky Shield, da ein Abschuss moderner Raketen nur im Verbund aller Abwehrsysteme und unter einheitlichem Kommando erfolgen kann. Spätesten dann braucht es eindeutige Antworten auf wichtige Fragen: In welcher Höhe endet die Souveränität Österreichs im Luftraum? Ist ein Abschuss von Raketen, die Österreich außerhalb der Souveränitätszone überfliegen, neutralitätsrechtlich gedeckt? Wird Österreich womöglich in einen Raketenkrieg hineingezogen, der Österreich gar nicht betrifft? Welches Risiko verbleibt trotz Sky Shield? Welche anderen Mittel würden für die Verteidigung der Neutralität im Luftraum genügen?

Bewahrung der Neutralität

Die Verschmelzung zwischen EU und NATO stellt Österreich vor eine schwierige Aufgabe, da die EU ihre sicherheitspolitischen Entscheidungen in voller Übereinstimmung mit der NATO trifft. In der gemeinsamen Erklärung zur Zusammenarbeit zwischen EU und NATO vom Jänner 2023 heißt es: „Wir befürworten die größtmögliche Einbeziehung der NATO-Verbündeten, die nicht Mitglieder der EU sind, in deren Initiativen. Wir befürworten die größtmögliche Einbeziehung der EU-Mitglieder, die nicht Teil des Bündnisses sind, in dessen Initiativen.“

Wenn Österreich seine in der Verfassung verankerte Neutralität nicht völlig preisgeben will, muss es seine Verteidigung selbständig organisieren. Die geostrategische Lage mitten in Europa begünstigt Österreich und eröffnet realistische Chancen, sich aus Kriegen heraus zu halten. Die größte Bedrohung für unsere Neutralität sind Überflüge oder Waffentransporte von Kriegsparteien durch Österreich. Der Krieg in der Ukraine hat uns vor Augen geführt, wie wichtig Österreich für den Nachschub der NATO ist. Eine glaubwürdige Neutralität muss jedoch im Kriegsfall allen Kriegsparteien die Nutzung unseres Territoriums verwehren.

Mit den jüngsten Neubeschaffungen besitzt Österreich, neben den Eurofightern, wichtige Mittel, um seinen Luftraum gegen nicht genehmigte Überflüge zu verteidigen oder bedeutende Großereignisse gegen terroristische Angriffe aus der Luft zu schützen. Diese Beschaffungen erlauben Österreich, seine Verpflichtungen als neutraler Staat selbständig zu erfüllen. Eine Beteiligung am Projekt Sky Shield ist dafür nicht notwendig.

Die Rückkehr des kalten Krieges

Sky Shield folgt der Logik des Kalten Krieges und steht am Beginn eines neuerlichen Wettrüstens. Ein kalter Krieg setzt eine Rüstungsspirale in Gang, die unverhältnismäßige Kosten verursacht, ohne die Sicherheit zu erhöhen. Jede Maßnahme führt zu einer Gegenmaßnahme, wodurch der Wettlauf eine stete Beschleunigung erfährt. Das gegenseitige Misstrauen nimmt zu und die Bedrohung bleibt trotz aller Anstrengungen allgegenwärtig.

Ein neues Wettrüsten dient nur der Rüstungsindustrie, liegt aber nicht im Interesse Europas. Was Europa braucht, ist die Rückkehr zur Diplomatie, zur kooperativen Sicherheit und zur Rüstungskontrolle. Die Kündigung des INF-Vertrages („Intermediate Range Nuclear Force Treaty“) ging nicht von Russland aus. Es war Europa, das zu schwach war, um die Kündigung dieses für die europäische Sicherheit so wichtigen Vertrages zu verhindern.

Heute ist die EU wiederum auf einem geopolitischen Irrweg. Sie schließt Verhandlungen aus, weil mit dem „totalitären und imperialen Russland“ so lange nicht verhandelt werden kann, bis Russland seine imperiale Haltung aufgibt. Mit dieser Einstellung wäre die Entspannungspolitik der 70er Jahre nicht möglich gewesen. Damals wurden indes sehr erfolgreich Verträge zur Rüstungskontrolle abgeschlossen. Die Rückkehr des Kalten Kriegs nützt weder der Ukraine noch Europa.

Wäre es da nicht eine lohnende Aufgabe Österreichs, seine Neutralität für eine engagierte Friedenspolitik zu nutzen? Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung statt Sky Shield – das wäre der Weg zum Frieden!

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